Sie war einer der großen Momente dieser Weltbischofssynode: Die Meditation, die der
Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., auf Einladung des Papstes
hin vor den Synodenvätern in der Sixtinischen Kapelle hielt. Wir dokumentieren hier
diesen Text vom Samstag, 18. Oktober 08, in der vom Istanbuler Patriarchat autorisierten
Fassung. Die Synode zum Thema Wort Gottes geht am Sonntag mit einer Messe von Papst
Benedikt in St. Peter zu Ende.
Meditation von Patriarch Bartholomaios I.
von Konstantinopel auf der Weltbischofssynode in Rom Sixtinische
Kapelle, 24.10.2008
Eure Heiligkeit, verehrte Synodenväter!
Es
ist zugleich eine Lehre in Demut und eine Inspiration, von Eurer Heiligkeit aufgefordert
zu werden, zur XII. Ordentlichen Generalversammlung dieser vielversprechenden Bischofssynode
zu sprechen, einem historischen Treffen der Bischöfe der römisch-katholischen Kirche
aus der ganzen Welt, die sich hier versammelt haben, um über “das Wort Gottes” zu
meditieren und Entscheidungen über die Erfahrung und die Bedeutung dieser Worte “Im
Leben und in der Sendung der Kirche” zu treffen. Die freundliche Einladung Eurer
Heiligkeit an uns ist eine wichtige und bedeutungsvolle Geste - wir könnten sogar
sagen, dass es schon ein historisches Ereignis an sich ist. Zum ersten mal in der
Geschichte hat ein ökumenischer Patriarch die Gelegenheit, vor einer Bischofssynode
der römisch-katholischen Kirche zu sprechen und so am Leben dieser Schwesterkirche
auf so hoher Ebene beteiligt zu werden. Wir sehen darin das Wirken des Heiligen Geistes,
der unsere Kirchen in eine engere und tiefere Beziehung zu einander führt - ein wichtiger
Schritt hin zur Wiederherstellung unserer vollen Communio. Es ist bekannt, dass
die orthodoxe Kirche den Synoden eine grundsätzliche ekklesiologische Bedeutung zuschreibt.
Zusammen mit dem Primat bildet die Synodalität das Rückgrat der Führung der Kirche
und ihrer Organisation. Wie unser gemeinsamer internationaler Ausschuss für den theologischen
Dialog zwischen unseren Kirchen es im Dokument von Ravenna zum Ausdruck brachte, durchzieht
diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem Synodalsystem und dem Primat im Leben
der Kirche alle Ebenen: von der lokalen, regionalen bis zur Weltebene. Deshalb ist
es ein Privileg für uns, heute vor Ihrer Synode sprechen zu dürfen und wir hoffen,
dass der Tag kommen wird, an dem unsere beiden Kirchen voll und ganz darüber übereinstimmen
werden, was die Rolle des Primats und des Synodalsystems im Leben der Kirche betrifft;
ein Thema,, das unser gemeinsamer theologischer Ausschuss gerade untersucht. Das
Thema dieser Bischofssynode ist nicht nur für die römisch-katholische Kirche, sondern
auch für alle diejenigen von ausschlaggebender Bedeutung, die als Zeugen Christi in
unserer Zeit berufen wurden. Sendung und Evangelisierung sind eine ständige Pflicht
der Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten; sie sind in der Tat Teil des Wesens
der Kirche, die sich “apostolisch” nennt und das nicht nur im Sinne, dass sie der
ursprünglichen Lehre der Apostel treu bleibt und das Wort Gottes in jedem kulturellen
Kontext zu jeder Zeit verkündet. Die Kirche muss deshalb das Wort Gottes in jeder
Generation neu auslegen und es mit neuer Kraft und Überzeugung in unserer zeitgenössischen
Welt, die tief im Herzen nach Gottes Botschaft von Frieden, Hoffnung und Barmherzigkeit
dürstet, umsetzen. Natürlich wäre diese Aufgabe der Evangelisierung sehr viel stärker
und wirksamer, wenn alle Christen mit einer Stimme in einer vereinten Kirche sprechen
würden. Der Herr hat in seinem Gebet zum Vater kurz vor seiner Passion verdeutlicht,
dass die Einheit der Kirche untrennbar mit ihrer Sendung verbunden ist, “damit die
Welt glauben kann” (Joh 17, 21). Deshalb ist es angemessen, dass diese Synode ihre
Türen für die ökumenischen Bruderdelegierten geöffnet hat, damit wir alle uns unserer
gemeinsamen Pflichten in der Evangelisierung und auch der Schwierigkeiten und Probleme
bei ihrer Umsetzung in der heutigen Welt bewusst werden Diese Synode hat zweifellos
das Thema des Gotteswortes vertieft und in allen theologischen, praktischen und pastoralen
Aspekten beleuchtet. In unserer bescheidenen Ansprache vor Ihnen werden wir uns darauf
beschränken, einige Gedanken zum Thema ihres Treffens vorzutragen und aus der orthodoxen
Tradition und besonders der griechischen Patristik zu schöpfen, die sich im Laufe
der Jahrhunderte entwickelten. Ganz konkret möchten wir gerne drei Aspekte des Themas
herausgreifen, nämlich: das Wort Gottes durch die Heilige Schrift hören und verkündigen;
Gottes Wort in der Natur und vor allem in der Schönheit von Ikonen wahrnehmen; und
schlussendlich Gottes Wort in der Gemeinschaft der Heiligen und im sakramentalen Leben
der Kirche berühren und mit einander teilen. Diese Punkte sind, so glauben wir, für
das Leben und die Sendung der Kirche von lebenswichtiger Bedeutung. Während wir
das tun, versuchen wir auch, aus der reichen patristischen Tradition zu schöpfen,
die auf das frühe dritte Jahrhundert zurückgeht und werden die Lehre der fünf geistlichen
Schriftsinne erklären. Wenn wir dem Wort Gottes zuhören, es in uns aufnehmen und anfassen,
dann haben wir alle geistlichen Wege, um das einzigartige göttliche Mysterium wahrzunehmen.
Origenes von Alexandrien schreibt auf Grund der Sprichwörter 2.5 über “das göttliche
Wahrnehmungsvermögen”: Dieser Sinn offenbart sich als Sicht, wenn man die immateriellen
Dinge betrachtet, als Gehörsinn, um Stimmen zu erkennen, als Geschmackssinn, wenn
man frisches Brot schmeckt, als Geruchssinn, wenn man den süßen geistlichen Duft riecht
und als Tastsinn, wenn man mit dem Wort Gottes umgeht, das mit der ganzen Kraft der
Seele erfasst wird. Die geistlichen Sinne werden verschieden beschrieben, nämlich
als die “Fünf Sinne der Seele”, als “göttlich”, als “innere Fähigkeiten” und selbst
als “Fähigkeiten des Herzens oder des Gemüts”. Diese Doktrin inspirierte die Theologie
der Kappadozier (besonders die von Basilius dem Großen und Gregor von Nyssa) genau
so wie die Theologie der Wüstenväter (besonders Evagrius von Ponticus und Macarius
dem Großen).
1. Das Wort durch die Heiligen Schriften hören und sprechen
Bei
jeder Feier der göttlichen Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus fleht der vorsitzende
Zelebrant,“auf dass wir würdig werden, das Heilige Evangelium zu hören. Denn das,
was wir gehört und mit unseren Augen gesehen haben, was wir geschaut und was unsere
Hände berührt haben, das Wort des Lebens” (1 Joh. 1.1) ist zunächst kein Anrecht oder
Geburtsrecht der Menschen; es ist vielmehr für uns als Kinder des lebendigen Gottes
Privileg und Gabe. Die christliche Kirche ist vor allem eine Kirche der Schrift. Mögen
die Auslegungsmethoden von Kirchenvater zu Kirchenvater, von “Schule zu Schule”, zwischen
Osten und Westen verschieden sein, die Heilige Schrift wurde immer als lebendige
Wirklichkeit und nicht als tote Schrift empfunden. Im Kontext eines lebendigen
Glaubens ist deshalb die Heilige Schrift das lebendige Zeugnis der erlebten Geschichte
über die Beziehung eines lebendigen Gottes zu einem lebendigen Volk. Die Worte “Der
durch die Propheten sprach” (Nizäno-konstatinopolitanisches Glaubensbekenntnis) wurden
gesprochen, um gehört zu werden und Wirkung zu zeigen. Es ist an erster Stelle eine
mündlich-direkte Kommunikation, die an die Menschen erging. Der schriftliche Text
ist deshalb davon abgeleitet und sekundär; der schriftliche Text muss immer dem gesprochenen
Wort dienen. Es wird nicht mechanisch, sondern von Generation zu Generation als lebendiges
Wort übertragen. Durch den Propheten Jesaja gelobt der Herr:”Denn wie der Regen und
der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt
... so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verläßt: Es kehrt nicht leer zu mir
zurück, sondern bewirkt, was ich will und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt
habe. (Jes 55, 10-11). Wie der hl. Johannes Chrysostomus erklärt, berücksichtigt
das göttliche Wort genau die unterschiedlichen Persönlichkeiten und verschiedenen
kulturellen Kontexte derer, die es hören und empfangen. Die Anpassung des göttlichen
Worts auf die besondere persönliche Bereitschaft und den besonderen kulturellen Kontext
definiert die Sendungsdimension der Kirche, die berufen ist, die Welt durch das Gotteswort
zu verändern. Im Schweigen wie in der Verkündigung, im Gebet wie in der Aktion wendet
sich das göttliche Wort an die ganze Welt und “verkündet allen Völkern” (Mt. 28,19)
ohne Privilegien oder Benachteiligung auf Grund von Rasse, Kultur, Geschlecht und
Klasse das Wort Gottes. Wenn wir diesen göttlichen Auftrag ausführen, versichert man
uns: “Seid gewiß, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt” (Mt 28,20).Wir
sind berufen, das göttliche Wort in allen Sprachen zu verkünden “und allen alles zu
werden, um auf jeden Fall einige zu retten“ (1 Kor 9,22). Als Jünger des Gottesworts
ist es für uns wichtiger als je zuvor, dass wir eine einzigartige Perspektive anbieten-
über alles Soziale, Politische und Wirtschaftliche hinaus - in der Notwendigkeit,
die Armut zu bekämpfen und ein Gleichgewicht in einer globalisierten Welt zu schaffen,
Fundamentalismus oder Rassismus zu bekämpfen und religiöse Toleranz in eine Welt voller
Konflikte zu bringen. In Antwort auf die Bedürfnisse der Armen, Verletzlichen und
Ausgegrenzten der Welt kann die Kirche ein Zeichen für den Ort und Charakter der globalen
Gemeinschaft setzen. Während sich die theologische Sprache der Religion und Spiritualität
von dem technischen Vokabular der Wirtschaft und Politik unterscheidet, können die
Hindernisse, die auf den ersten Blick die religiösen Fragen (wie Sünde, Heil und Spiritualität)
von den pragmatischen Interessen (wie Handel, Wirtschaft und Politik) zu trennen scheinen,
überwunden werden und stürzen angesichts der vielen Herausforderungen der sozialen
Gerechtigkeit und Globalisierung ein. Während wir uns mit Umwelt und Frieden, Armut
und Hunger, Erziehung und Gesundheitswesen beschäftigen, sind sich vor allem die Gläubigen,
aber auch andere “säkulare”Menschen bewusst geworden, dass man gemeinsame Sorgen hat
und gemeinsame Verantwortung trägt. Unser Engagement für diese Fragen ändert natürlich
nichts an der Tatsache, dass es unterschiedliche Disziplinen oder Meinungsverschiedenheiten
zwischen den Weltanschauungen gibt, noch werden dadurch die Unterschiede abgeschafft.
Die wachsenden Zeichen für ein gemeinsames Engagement zum das Wohl der Menschheit
und dem Leben auf der Welt sind ermutigend. Es ist eine Begegnung von einzelnen Personen
und Einrichtungen, die Hoffnung für die Welt erwarten lassen. In dieser Zusammenarbeit
wird die höchste Berufung und Sendung der Jünger und Anhänger des Gottesworts hervorgehoben,
die politischen oder religiösen Unterschiede transzendiert, um die ganze sichtbare
Welt zur Ehre des unsichtbaren Gottes zu verändern.
2. Das Wort Gottes sehen
- Die Schönheit der Ikonen und der Natur
Nirgendwo anders wird das Unsichtbare
sichtbarer gemacht, als in der Schönheit der Ikonographie und in dem Wunderwerk der
Schöpfung. Mit den Worten des Meisters der Heiligen Bilder, dem Hl. Johannes von Damaskus:
“Als der Schöpfer von Himmel und Erde war Gott, das Wort, selbst der erste, der Ikonen
gemalt und dargestellt hat.” Jeder Pinselstrich eines Ikonographen - so wie jedes
Wort einer theologischen Definition, wie jede musikalische Note, die beim Psalmenlied
gesungen wird und, wie jeder eingravierte Stein einer winzigen Kapelle oder einer
schönen Kathedrale - zeigt das göttliche Wort in der Schöpfung, das den Herrn lobt,
in allem was atmet. (Ps 150, 6). Beim Siebten Ökumenischen Konzil von Nizäa fanden
die heiligen Darstellungen ihre Bestätigung, und doch ging es eigentlich nicht um
die religiöse Kunst als solche, sondern um die Fortführung und die Bestätigung früherer
Definitionen über die Fülle von Menschlichkeit im Wort Gottes. Ikonen sind eine sichtbare
Erinnerung an unsere himmlische Berufung. Sie fordern uns dazu auf, über unsere trivialen
Sorgen und über die Nebensächlichkeiten in der Welt hinauszugehen. Sie ermutigen uns
dazu, das Außergewöhnliche im Alltäglichen zu finden und von der gleichen Verwunderung
erfüllt zu sein, die das göttliche Wunder in der Genesis gekennzeichnet hat: “ Gott
sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut.” (Gen 1.30-31). Das griechische
Wort (Septuaginta) für “Güte” ist xxx, was etymologisch und symbolisch die Bedeutung
des “Rufens” enthält. Ikonen unterstreichen die grundlegende Sendung der Kirche, zu
erkennen, dass alle Menschen und alle Dinge geschaffen und gerufen worden sind, um
“gut” und “schön” zu sein. In der Tat erinnern uns die Ikonen an eine andere Sichtweise
der Dinge, an eine andere Realitätserfahrung, an eine andere Form der Konfliktlösung.
Wir sind dazu gerufen, das zu übernehmen, was die Hymnologie vom Ostersonntag “eine
andere Art zu leben” nennt. Wir haben uns der natürlichen Schöpfung gegenüber arrogant
und abschätzig verhalten. Wir haben uns geweigert, das Wort Gottes in den Ozeanen
unseres Planeten, in den Bäumen unserer Kontinente und in den Tieren auf der Erde
zu bewahren. Wir haben unsere eigene Wesenhaftigkeit geleugnet, die uns auffordert,
uns so hinzugeben, dass wir das Wort Gottes in der Schöpfung hören können, wenn wir
den Wunsch haben, an der göttlichen Natur teilzuhaben (2 Pet 1.4). Wie konnten wir
beim fleischgewordenen Wort Gottes die größeren Implikationen davon ignorieren? Warum
versäumen wir es, die Schöpfung der Natur als einen Teil vom Leib Christi wahrzunehmen? Theologen
aus dem östlichen Christentum haben immer die Kosmischen Proportionen der göttlichen
Fleischwerdung hervorgehoben. Das fleischgewordene Wort ist der innere Wert der Schöpfung,
die durch göttliche Äußerung verwirklicht wurde. Der heilige Maximus Confessor besteht
auf der Gegenwärtigkeit vom Wort Gottes in allen Dingen (Kol 3.11). Der göttliche
Logos steht im Mittelpunkt der Welt und offenbart auf geheimnisvolle Weise sein Ursprungsprinzip
und sein höchstes Ziel (1 Pet 1.20). Dieses Mysterium wird vom Hl. Athanasius von
Alexandrien folgendermaßen beschrieben: Als der Logos (schreibt er), ist er in
nichts enthalten, und doch enthält er alles. Er ist in allem und doch außerhalb von
allem...der Erstgeborene der ganzen Welt in allen ihren Aspekten. Die gesamte Welt
ist ein Prolog zum Johannesevangelium. Und wenn die Kirche es verfehlt, die weitreichendere,
kosmische Dimension vom Wort Gottes zu erkennen und sich nur um rein geistliche Fragen
sorgt, dann leugnet sie ihre Sendung , die darin besteht, Gott anzuflehen für den
Wandel des gesamten, verseuchten Kosmos - immer und überall, “an allen Orten seiner
Herrschaft”. Es ist kein Wunder, dass am Ostersonntag, wenn die Paschafeier ihren
Höhepunkt erreicht, orthodoxe Christen singen: Jetzt ist alles mit göttlichem Licht
erfüllt: Himmel und Erde, und alle Dinge unter der Erde. So lasset alle Schöpfung
erfreut sein. Jede authentische “tiefe Ökologie” ist deshalb ausweglos mit tiefer
Theologie verbunden: “Sogar ein Stein,” schreibt Basilius der Große, “trägt das
Zeichen vom Wort Gottes. Dies trifft für eine Ameise, eine Biene und einen Mosquito
zu, die kleinsten aller Geschöpfe. Denn Er breitete die großen Himmel aus und legte
die riesigen Meere an; und Er schuf den kleinen, hohlen Schaft vom Bienenstachel.” Wenn
wir uns unsere Winzigkeit in Gottes weiter und wunderbarer Schöpfung ins Gedächtnis
rufen, so hebt dies unsere zentrale Rolle in Gottes Heilsplan für die Welt hervor.
3.
Das Wort Gottes berühren und miteinander teilen - Die Gemeinschaft der Heiligen und
die Sakramente des Lebens
Das Wort Gottes kommt fortdauernd in Ekstase
aus sich heraus (Dionysius der Areopag) und versucht leidenschaftlich “unter uns zu
wohnen” (Joh 1.14), damit sie das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10.10). Gottes
barmherzige Gnade wird ausgeschüttet und mit allen geteilt, auf dass die Empfänger
seiner Wohltätigkeit sich vermehren mögen (Gregorius, der Theologe) Gott nimmt sich
unser aller Dinge an “die wir in allem in Versuchung geführt worden sind, aber nicht
gesündigt haben” (Heb 4.15), um uns allen das anzubieten, was Gottes ist, und damit
wir durch die Gnade Gott werden können.”Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um
euch durch seine Armut reich zu machen”, schreibt der große Apostel Paulus (2 Kor
8.9), dem dieses Jahr so treffend gewidmet ist. Das ist das Wort Gottes, Dankbarkeit
und Ehre gebühren ihm. Das Wort Gottes erhält seine volle Verkörperung durch die
Schöpfung, vor allem im Sakrament der Heiligen Eucharistie. Es ist dort, wo das Wort
Fleisch wird und es uns ermöglicht, ihn nicht nur zu hören oder zu sehen, sondern
ihn mit unseren Händen zu berühren, wie der Hl. Johannes uns erklärt (I Joh 1,1) und
ihn zum Teil unseres eigenen Leibes und unseres eigenen Blutes zu machen (σύσσωμoι
καί σύvαιμoι), wie in den Worten des Hl. Chrysostomus. In der Heiligen Eucharistie
ist das Wort gehört zugleich gesehen und geteilt (κoιvωvία). Es ist kein Zufall, dass
in den frühen eucharistischen Dokumenten, wie dem Buch der Offenbarung und dem Didache,
die Eucharistie mit der Prophezeiung in Verbindung gebracht und die Bischöfe als Nachfolger
der Propheten betrachtet wurden (e.g. Martyrion Polycarpi). Die Eucharistie wurde
schon vom Hl. Paulus (I Kor 11) als “Verkündung” von Christi Tod und seiner Wiederkehr
beschrieben. Da der Zweck der Schrift wesentlich darin besteht, das Reich Gottes und
eschatologische Realitäten zu verkünden, stellt die Eucharistie einen Vorgeschmack
für das Reich Gottes dar, und ist in diesem Sinne die Verkündigung des Wortes Gottes
par excellence. In der Eucharistie werden das Wort und das Sakrament zu einer Realität.
Das Wort hört auf “Worte” zu sein und wird zu einer Person, indem es ihn in allen
Menschen und in der ganzen Schöpfung verkörpert. Im Leben der Kirche spiegeln sich
die unergründliche Selbstentäußerung (κέvωσιV) und das großherzige Miteinander-Teilen
(κoιvωvία) des göttlichen Logos im Leben der Heiligen wider, und zwar als greifbare
Erfahrung und menschlicher Ausdruck vom Wort Gottes in unserer Gemeinschaft. Auf diese
Weise wird das Wort Gottes zum Leib Christi, der zugleich gekreuzigt und geehrt wurde.
Dies führt dazu, dass der Heilige eine organische Beziehung zum Himmel und zur Erde,
zu Gott und zu seiner ganzen Schöpfung hat. In asketischem Ringen versöhnt der Heilige
das Wort mit der Welt. Durch Reue und Reinigung ist der Heilige - wie Abba Isaak,
der Syrer sagt - mit Mitleid für alle Geschöpfe erfüllt, was die äußerste Demut und
Vollkommenheit bedeutet. Aus diesem Grund ist die Liebe eines Heiligen warmherzig
und allumfassend, was zugleich eine uneingeschränkte und unwiderstehliche Liebe bedeutet.
In den Heiligen erkennen wir Gottes eigenes Wort, denn, wie der heilige Gregorius
Palamas betont, teilen Gott und seine Heiligen dieselbe Ehre und Herrlichkeit. In
der milden Gegenwart eines Heiligen lernen wir, wie Theologie und Aktion übereinstimmen.
In der mitleidsvollen Liebe des Heiligen erfahren wir Gott als “unseren Vater” und
Gottes Barmherzigkeit als “ewig während” (Ps 135). Der Heilige wird verzehrt vom Feuer
der Liebe Gottes. Deshalb vermittelt der Heilige Gnade und kann die leichteste Manipulation
oder Ausbeutung in der Gesellschaft oder der Natur nicht dulden. Der Heilige tut einfach,
was “angemessen und richtig” ist (Göttliche Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomus),
und vermehrt dabei immer die Würde des Menschen und ehrt die Schöpfung. “Seine Worte
haben die Kraft von Taten und sein Schweigen die Kraft der Rede” (Heiliger Igantius
von Antiochien). Und in der Gemeinschaft der Heiligen ist jeder von uns berufen,
“wie Feuer zu werden” (Sprüche der Wüstenväter), die Welt mit der geheimnisvollen
Kraft des Wortes Gottes zu berühren, so dass auch die Welt - als der erweiterte Leib
Christi - sagen kann: “Jemand hat mich berührt!” (Vgl. Mt 9,20). Das Böse wird nur
ausgemerzt durch Heiligkeit, nicht durch Strenge. Und Heiligkeit bringt in die Gesellschaft
einen Samen, der heilt und verwandelt. Erfüllt von dem Leben der Sakramente und der
Reinheit des Gebetes sind wir fähig, in das innerste Geheimnis von Gottes Wort einzutreten.
Es ist wie bei den tektonischen Platten der Erdkruste: die tiefsten Schichten brauchen
sich nur wenige Millimeter zu bewegen, um die Erdoberfläche zu zerbrechen. Damit aber
diese spirituelle Revolution geschieht, müssen wir eine radikale Erfahrung der “metanoia”
- eine Bekehrung der Haltungen, Gewohnheiten und Gepflogenheiten - machen von den
Weisen, wie wir Gottes Wort, Gottes Gaben und Gottes Schöpfung schlecht gebraucht
oder missbraucht haben. Eine solche Bekehrung ist sicherlich unmöglich ohne die
göttliche Gnade; sie wird nicht einfach durch eine größere Anstrengung oder menschliche
Willensstärke erreicht. “Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich”
(Mt 19,26). Eine spirituelle Veränderung geschieht, wenn unsere Körper und Seelen
dem lebendigen Wort Gottes eingepflanzt sind, wenn unsere Zellen den lebenspendenden
Blutfluss der Sakramente enthalten, wenn wir bereit sind, alles mit allen zu teilen.
Wie der heilige Johannes Chrysostomus uns erinnert, kann das Sakrament “unseres Nächsten”
nicht vom Sakrament “des Altars” getrennt werden. Traurigerweise haben wir die Berufung
und die Verpflichtung zu teilen nicht beachtet. Soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit,
weltweite Armut und Krieg, Umweltverschmutzung und -zerstörung sind Folgen unserer
Unfähigkeit oder Widerwillens zu teilen. Wenn wir am Sakrament des Altars festhalten
wollen, können wir nicht auf das Sakrament des Nächsten verzichten oder es vergessen
- es ist eine grundlegende Bedingung dafür, das Wort Gottes in der Welt im Leben und
in der Sendung der Kirche zu verwirklichen.
Geliebte Brüder in Christus,
wir
haben die patristische Lehre über die geistlichen Sinne erkundet, indem wir die Macht,
das Wort Gottes in der Heiligen Schrift zu hören und zu verkünden, erkannt haben,
sowie das Wort Gottes in den Ikonen und in der Natur zu sehen als auch in den Heiligen
und in den Sakramenten zu berühren und zu teilen. Um aber in Wahrheit mit dem Leben
und der Sendung der Kirche übereinzustimmen, müssen wir persönlich vom Wort verändert
werden. Die Kirche muss einer Mutter ähneln, die durch die Nahrung, die sie aufnimmt,
selbst ernährt wird, aber auch andere nährt. Alles, was nicht jeden ernähren kann,
kann auch uns keine Kraft geben. Wenn die Welt die Freude über die Auferstehung Jesu
nicht teilt, ist das eine Anklage unserer eigenen Redlichkeit und unseres Einsatzes,
das Wort Gottes zu leben. Vor jeder Göttlichen Liturgie beten die orthodoxen Christen,
dass dieses Wort “gebrochen und verzehrt, ausgeteilt und geteilt” wird in der Kommunion.
Und “wir wissen, dass wir aus dem Tod ins Leben hinübergegangen sind, wenn wir unsere
Brüder” und Schwestern lieben (1 Joh 3,14). Die vor uns liegende Herausforderung
ist, das Wort Gottes angesichts des Bösen zu erkennen, die Verklärung jedes geringsten
Details und Fleckchens dieser Welt im Licht der Auferstehung. Der Sieg ist in den
Tiefen der Kirche schon gegenwärtig, wann immer wir die Erfahrung der Versöhnung und
der Gemeinschaft machen. Wenn wir darum ringen - in uns und in der Welt -, die Macht
des Kreuzes zu erkennen, beginnen wir zu schätzen, wie jeder Akt der Gerechtigkeit,
jeder Funke der Schönheit, jedes Wort der Wahrheit nach und nach die Kruste des Bösen
abschleifen kann. Wir haben jedoch über unsere eignen schwachen Bemühungen hinaus
die Zusicherung des Heiligen Geistes, der “sich unserer Schwachheit annimmt” (Röm
8,26) und uns als Beistand und “Tröster” (Joh 14,6) zur Seite steht, alles durchdringt
und “uns verwandelt”, wie der heilige Simeon der Neue Theologe sagt, “in das, was
das Wort Gottes über das Himmelreich sagt: Perle, Senfkorn, Sauerteig, Wasser, Feuer,
Brot, Leben und mystisches Hochzeitsgemach”. Das ist die Macht und die Gnade des Heiligen
Geistes, den wir zum Abschluss unserer Ansprache anrufen wollen, indem wir Eurer Heiligkeit
unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringen und Ihnen allen unseren Segen erteilen: Himmlischer
König, Tröster, Geist der Wahrheit, allgegenwärtig und alles erfüllend, Schatz
der Güte und Spender des Lebens: Komm und erfülle uns. Reinige uns von aller
Unreinheit; und rette unsere Seelen. Denn du bist gütig und liebst die Menschheit.
Amen!