Wie bewertet der Vorsitzende der Schweizer Bischofskonferenz, Bischof Kurt Koch, das
Abstimmungsergebnis? Abstimmung „ohne Sachverstand“ „Ich
glaube, es war eine Abstimmung nicht so sehr mit Sachverstand, sondern eine ganz emotionale
Abstimmung, die viele Ängste ans Tageslicht gebracht hat.“ Anzeichen
einer Identitätskrise? „Die ganze Gesellschaft in Europa ist derart im Umbruch,
dass die Identität der europäischen Länder ins Flottieren geraten ist. Und jetzt hat
man eine Bedrohung gesehen, hat Angst vor der Islamisierung, so dass man plötzlich
die eigene Identität sichern will, die man aber in normalen Zeiten gar nicht so sehr
lebt und zum Tragen bringt. Deshalb muss jetzt auch klar gesehen werden, wir müssen
zu unserer christlichen Identität - auch in einem weltanschauungsneutralen Staat wie
der Schweiz - zurückfinden. Nur wenn wir eine positive Identität haben, können wir
auf andere zugehen. Wenn wir nur eine negative Identität haben, steht jede Begegnung
unter einem schlechten Vorzeichen.“ Schlimme Folgen für
verfolgte Christen… „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass wir unsere Argumente,
warum wir gegen die Initiative gewesen sind, offensichtliche nicht haben durchbringen
können. Wir sind natürlich enttäuscht, aus zweifachem Grund: Weil das Ergebnis dieser
Abstimmung ein anderes sein wird, als viele Gläubige das offenbar gemeint haben. Erstens
wird das unser Engagement für die verfolgten und bedrohten Christen in islamischen
Ländern nicht erleichtern, sondern furchtbar erschweren. Denn es nagt an unserer Glaubwürdigkeit.
Ich bin auch deshalb sehr froh, dass der Bischof von Arabien, Bischof Paul Hinder,
gesagt hat, die Annahme dieser Initiative ist ein Bärendienst für die Christen in
Arabien.“ Ein Nein zur Sichtbarkeit von Religion „Zweitens
ist das Nein zu den Minaretten auch ein Nein zur Sichtbarkeit der Religion. Und das
wird früher oder später Konsequenzen für unsere Kirche haben. Der Entscheid des europäischen
Gerichtshofes in Brüssel war ja eine Vorwarnung, das es nun auch mit den christlichen
Zeichen in der Gesellschaft problematisch wird.“ „Es ist eine
Illusion zu glauben, es gibt keine Probleme mit dem Zusammenleben, wenn eine ganze
Gruppierung – die Muslime – unsichtbar sind. Sie dürfen nur nicht sichtbar sein? Dann
lernen wir das Zusammenleben nicht, und dann findet auch Integration nicht statt!“
„Es ist ja interessant, dass die ganze Bundesregierung gegen
die Initiative gewesen ist, alle christlichen Kirchen gegen die Initiative gewesen
sind und auch die jüdische Bevölkerung. Ich glaube, dass es eine ungeheure Angst vor
dem Islam gibt, dass man sich aber nicht Rechenschaft darüber gegeben hat, dass diese
Abstimmung dann auch für unsere Präsenz und Sichtbarkeit von Religion kontraproduktiv
sein kann.“ Integrationsarbeit jetzt erst recht „Ich
denke, es muss jetzt sehr viel Arbeit hinsichtlich der Integration der muslimischen
Minderheit in der schweizerischen Bevölkerung geschehen. Deshalb habe ich auch vor
der Abstimmung immer gesagt, die Initiative löst kein einziges Problem. Sie schafft
neue Probleme, und die eigentliche Arbeit beginnt jetzt.“ (rv 30.11.2009 pr)