„Echte Stille und ein riesiger Rucksack Erfahrungen“ - Taizé-Treffen in Polen
„Die Taizetreffen sind immer eine sehr schöne Erfahrung. Es ist einfach toll, Menschen
aus anderen Nationen zu erleben und Gottesdienst zusammen zu feiern.“ - „Ich glaube,
es ist eines der wichtigsten Dinge in Europa und in der ganzen Welt, dass Menschen
sich begegnen und treffen, denn letztendlich ist es das, was Krieg, Feindseligkeiten
und Arroganz zwischen anderen Ländern verhindert.“
Groß ist die Begeisterung
unter den jungen Teilnehmern des 32. Europäischen Taizé-Treffens, das am vergangenen
Samstag im westpolnischen Posen zu Ende ging. Bei der ökumenischen Begegnung in der
internationalen Messestadt standen die Themen „Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden“
auf dem Programm. Über 30.000 Jugendliche aus verschiedenen europäischen Ländern,
zwei Drittel davon junge Polen, waren dieses Mal mit dabei. Der Prior von Taizé, Frère
Alois, beschreibt im Rückblick seine Eindrücke:
„Es war eine große
Ernsthaftigkeit zu spüren bei diesem Treffen, natürlich mit der Freude, die immer
da ist, wenn Jugendliche zusammenkommen. Die Frage nach der Freiheit hat eine sehr
große Rolle gespielt. Es war unser 4. Europäisches Jugendtreffen in Polen. Das erste
hatten wir vor 20 Jahren, also 1989 kurz nach dem Mauerfall. Was hat sich geändert
seit dieser Zeit? Damals war ein großer Enthusiasmus da, 1989, jetzt ist mehr die
Zeit von Entscheidungen treffen, Prioritäten wählen, Einfachheiten des Lebens suchen.
Was machen wir mit unserer Freiheit?“
Stille als Luxus?
In
Posen mussten die Jugendliche diese Frage nicht gleich beantworten. Zusammen mit den
Brüdern der Taizé-Gemeinschaft, die aus Frankreich angereist waren, nahmen sie sich
fast eine ganze Woche Zeit. Zeit, um gemeinsam Gottesdienste zu feiern, zu diskutieren,
zu beten und – zu schweigen. Denn neben den meditativen Taizé-Liedern ist die gemeinsame
Stille ein wichtiger Bestandteil der jährlichen Begegnung. Handys blieben aus, der
Stress des Alltags draußen. Und die Jugendlichen, sonst „immer in Action“, genossen
gerade diesen Moment des Tages in vollen Zügen. Die Studentin Sarah Schneider aus
Leipzig:
„Während der Gebetszeiten gibt es immer eine zehnminütige
Stille und die ist sehr wichtig und sehr schön. Auch, weil alle Leute gleichzeitig
schweigen. Kein Mensch spricht und man fühlt sich nicht, als würde man was verpassen
in dem Moment, sondern man kann die Gedanken wandern lassen und ist in dem Moment
ganz frei, weil kein anderer einem sagt, was man denken soll oder wie man beten soll.“
Die Freiheit, nur einmal für sich und mit anderen zu sein – ohne
Zweck und Ziel. Im Alltag der Jugendlichen ist diese Freiheit selten geworden. In
Zeiten globaler Krise und unsicherer Zukunft ist Muße nicht erlaubt oder sie macht
Angst. Bruder Alois weiß das aus vielen Gesprächen mit den Jugendlichen.
„Natürlich
gibt es heute eine Entmutigung angesichts der weltweiten Situation, wo wir eigentlich
wollen, dass viele Dinge mehr vorankommen, dass wir mehr miteinander teilen, dass
es mehr Menschlichkeit gibt, dass nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund
steht. Und ich glaube, dass das Treffen die Teilnehmer ermutigt hat, sich nicht gehen
zu lassen in einer schleichenden Mutlosigkeit, die so um sich greift.“
Freiheit
ist relativ
Gerade mal 20 Jahre nach dem Berliner Mauerfall beschäftigt
die Frage nach der Freiheit auch die junge Generation in Polen weiter - das merkt
man etwa an der Verehrung „ihres Papstes“ Johannes Paul, die auch auf dem Taizé-Treffen
zu spüren war. „Seit seinem Tod fühle ich eine Nähe zu ihm“, bekannte etwa die 26-jährige
Iwona Gruska aus Krakau. Über die bewegte Geschichte Polens diskutierten in Posen
gemeinsam Junge und Alte, Orthodoxe, Katholiken und Protestanten. Und auch in den
einzelnen Gastfamilien kam man trotz sprachlicher Hürden in Kontakt. Dominikus aus
Schongau bei München:
„Man kommt in diese Familie und macht sich
Gedanken, können die wirklich Deutsch, Englisch oder Ähnliches. Meine Familie hat
mich aber total herzlich empfangen! Die sind so nett hier und wollen nur das Beste
für einen. Einige Gastfamilien sind auch mitgekommen zu den Gottesdiensten.“
Ein
anderes Familienleben und eine andere Kultur einmal hautnah mitzuerleben – auch das
gehörte zu dem Jugend-Treffen, zu dem die katholische Kirche des Landes in die Industrie-
und Kulturstadt Posen eingeladen hatte. Beim Frühstück in den Gastfamilien bekamen
die Jugendlichen schon so einiges mit. Der 18-jährige Martin war zum ersten Mal bei
einem Taizé-Treffen dabei. Er erzählt:
„Als ich mit den Polen
gesprochen habe, hat mich überrascht, dass es hier fast normal ist, dass alle zwei
Jobs haben. Die Leute hier verdienen hier viel weniger. Der Vater meiner Gastfamilie
verdient sein Geld an der Rezeption eines Schwimmbades und bekommt 8 Sloti die Stunde,
das sind bei uns 2 Euro die Stunde. Und so viel billiger ist das Leben hier auch nicht.“
Die
eigenen Ängste und Unsicherheiten relativieren sich bei solchen Begegnungen schnell.
Und was soll man erst zu Christen sagen, die für ihren Glauben das Leben riskieren?
Bruder Alois berichtete den Jugendlichen von seinen Erfahrungen in China, wo Menschen-
und Glaubensrechte teilweise mit Füßen getreten werden:
„Ich habe
viel von meiner Reise erzählt, die ich mit zwei anderen Brüdern nach China gemacht
habe. Dort haben wir Christen in China besucht, mit ihnen gebetet, auf eine ganz einfache
Art und Weise. Ich habe den Jugendlichen hier jeden Tag davon erzählt, zum Beispiel
von einem Bischof von Shanghai, der 93 Jahre alt ist, er war 23 Jahre im Gefängnis
und hat für seinen Glauben gelitten. Es ist wichtig, dass Jugendliche wissen, dass
heute in verschiedenen Teilen der Erde Christen gibt, die für ihren Glauben einen
Preis bezahlen.“
Gestärkt in den Alltag zurück
Ob
es das gemeinsame Beten und Schweigen oder der intensive Austausch mit anderen Jugendlichen
sind – fest steht, dass die jungen Leute nach fünf Tagen Taizé in Polen gestärkt wieder
in ihren Alltag zurückkehrten. Martin:
„Ich nehme einen riesigen
Rucksack neuer Erfahrungen mit nach Hause. Ich habe hier sehr viele neue Leute kennen
gelernt. Ich habe auch gelernt, einfach mal still zu sein und nicht immer nur Stress,
Stress, Stress zu machen wie in meinem Alltag. Und ich gehe auch ein bisschen gestärkt
in meinem Glauben hier heraus. Durch die Lieder und die Gemeinschaft bekommt man einfach
das Gefühl: Es muss einen Gott geben.“
Auch die 23-jährige Sarah
aus Leipzig fühlt nach dem Taizé-Treffen innerlich gut. Alle Ängste sind zwar nicht
verschwunden, aber eines ist der jungen Frau klar geworden:
„Die
Angst ist kein Zeitphänomen, sondern steckt in jedem Menschen. Einerseits wird einem
suggeriert, dass man Angst haben muss, dass man immer gut sein muss, in der Schule,
im Studium, dass man immer unterhaltsam sein muss für andere. Ich habe den Eindruck,
dass man viele Erwartungen erfüllen muss, von Eltern, Freunden, Lehrern… Hier ist
mir klar geworden, dass man seine Entscheidungen nicht auf Angst aufbauen muss. Damit
sind allgemeine Entscheidungen und die Entscheidung gemeint, was man mit seinem Leben
anfangen will.“
Das nächste Taizé-Treffen wird um den Jahreswechsel
2010-2011 in Rotterdam stattfinden. Sarah, Martin und Dominikus sind wieder mit von
der Partie – zumindest das wissen sie ganz sicher.