2010-06-17 17:49:18

„Echte Stille und ein riesiger Rucksack Erfahrungen“ - Taizé-Treffen in Polen


„Die Taizetreffen sind immer eine sehr schöne Erfahrung. Es ist einfach toll, Menschen aus anderen Nationen zu erleben und Gottesdienst zusammen zu feiern.“ - „Ich glaube, es ist eines der wichtigsten Dinge in Europa und in der ganzen Welt, dass Menschen sich begegnen und treffen, denn letztendlich ist es das, was Krieg, Feindseligkeiten und Arroganz zwischen anderen Ländern verhindert.“


Groß ist die Begeisterung unter den jungen Teilnehmern des 32. Europäischen Taizé-Treffens, das am vergangenen Samstag im westpolnischen Posen zu Ende ging. Bei der ökumenischen Begegnung in der internationalen Messestadt standen die Themen „Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden“ auf dem Programm. Über 30.000 Jugendliche aus verschiedenen europäischen Ländern, zwei Drittel davon junge Polen, waren dieses Mal mit dabei. Der Prior von Taizé, Frère Alois, beschreibt im Rückblick seine Eindrücke:



„Es war eine große Ernsthaftigkeit zu spüren bei diesem Treffen, natürlich mit der Freude, die immer da ist, wenn Jugendliche zusammenkommen. Die Frage nach der Freiheit hat eine sehr große Rolle gespielt. Es war unser 4. Europäisches Jugendtreffen in Polen. Das erste hatten wir vor 20 Jahren, also 1989 kurz nach dem Mauerfall. Was hat sich geändert seit dieser Zeit? Damals war ein großer Enthusiasmus da, 1989, jetzt ist mehr die Zeit von Entscheidungen treffen, Prioritäten wählen, Einfachheiten des Lebens suchen. Was machen wir mit unserer Freiheit?“



Stille als Luxus?

In Posen mussten die Jugendliche diese Frage nicht gleich beantworten. Zusammen mit den Brüdern der Taizé-Gemeinschaft, die aus Frankreich angereist waren, nahmen sie sich fast eine ganze Woche Zeit. Zeit, um gemeinsam Gottesdienste zu feiern, zu diskutieren, zu beten und – zu schweigen. Denn neben den meditativen Taizé-Liedern ist die gemeinsame Stille ein wichtiger Bestandteil der jährlichen Begegnung. Handys blieben aus, der Stress des Alltags draußen. Und die Jugendlichen, sonst „immer in Action“, genossen gerade diesen Moment des Tages in vollen Zügen. Die Studentin Sarah Schneider aus Leipzig:



„Während der Gebetszeiten gibt es immer eine zehnminütige Stille und die ist sehr wichtig und sehr schön. Auch, weil alle Leute gleichzeitig schweigen. Kein Mensch spricht und man fühlt sich nicht, als würde man was verpassen in dem Moment, sondern man kann die Gedanken wandern lassen und ist in dem Moment ganz frei, weil kein anderer einem sagt, was man denken soll oder wie man beten soll.“



Die Freiheit, nur einmal für sich und mit anderen zu sein – ohne Zweck und Ziel. Im Alltag der Jugendlichen ist diese Freiheit selten geworden. In Zeiten globaler Krise und unsicherer Zukunft ist Muße nicht erlaubt oder sie macht Angst. Bruder Alois weiß das aus vielen Gesprächen mit den Jugendlichen.



„Natürlich gibt es heute eine Entmutigung angesichts der weltweiten Situation, wo wir eigentlich wollen, dass viele Dinge mehr vorankommen, dass wir mehr miteinander teilen, dass es mehr Menschlichkeit gibt, dass nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund steht. Und ich glaube, dass das Treffen die Teilnehmer ermutigt hat, sich nicht gehen zu lassen in einer schleichenden Mutlosigkeit, die so um sich greift.“



Freiheit ist relativ

Gerade mal 20 Jahre nach dem Berliner Mauerfall beschäftigt die Frage nach der Freiheit auch die junge Generation in Polen weiter - das merkt man etwa an der Verehrung „ihres Papstes“ Johannes Paul, die auch auf dem Taizé-Treffen zu spüren war. „Seit seinem Tod fühle ich eine Nähe zu ihm“, bekannte etwa die 26-jährige Iwona Gruska aus Krakau. Über die bewegte Geschichte Polens diskutierten in Posen gemeinsam Junge und Alte, Orthodoxe, Katholiken und Protestanten. Und auch in den einzelnen Gastfamilien kam man trotz sprachlicher Hürden in Kontakt. Dominikus aus Schongau bei München:



„Man kommt in diese Familie und macht sich Gedanken, können die wirklich Deutsch, Englisch oder Ähnliches. Meine Familie hat mich aber total herzlich empfangen! Die sind so nett hier und wollen nur das Beste für einen. Einige Gastfamilien sind auch mitgekommen zu den Gottesdiensten.“



Ein anderes Familienleben und eine andere Kultur einmal hautnah mitzuerleben – auch das gehörte zu dem Jugend-Treffen, zu dem die katholische Kirche des Landes in die Industrie- und Kulturstadt Posen eingeladen hatte. Beim Frühstück in den Gastfamilien bekamen die Jugendlichen schon so einiges mit. Der 18-jährige Martin war zum ersten Mal bei einem Taizé-Treffen dabei. Er erzählt:



„Als ich mit den Polen gesprochen habe, hat mich überrascht, dass es hier fast normal ist, dass alle zwei Jobs haben. Die Leute hier verdienen hier viel weniger. Der Vater meiner Gastfamilie verdient sein Geld an der Rezeption eines Schwimmbades und bekommt 8 Sloti die Stunde, das sind bei uns 2 Euro die Stunde. Und so viel billiger ist das Leben hier auch nicht.“



Die eigenen Ängste und Unsicherheiten relativieren sich bei solchen Begegnungen schnell. Und was soll man erst zu Christen sagen, die für ihren Glauben das Leben riskieren? Bruder Alois berichtete den Jugendlichen von seinen Erfahrungen in China, wo Menschen- und Glaubensrechte teilweise mit Füßen getreten werden:



„Ich habe viel von meiner Reise erzählt, die ich mit zwei anderen Brüdern nach China gemacht habe. Dort haben wir Christen in China besucht, mit ihnen gebetet, auf eine ganz einfache Art und Weise. Ich habe den Jugendlichen hier jeden Tag davon erzählt, zum Beispiel von einem Bischof von Shanghai, der 93 Jahre alt ist, er war 23 Jahre im Gefängnis und hat für seinen Glauben gelitten. Es ist wichtig, dass Jugendliche wissen, dass heute in verschiedenen Teilen der Erde Christen gibt, die für ihren Glauben einen Preis bezahlen.“



Gestärkt in den Alltag zurück

Ob es das gemeinsame Beten und Schweigen oder der intensive Austausch mit anderen Jugendlichen sind – fest steht, dass die jungen Leute nach fünf Tagen Taizé in Polen gestärkt wieder in ihren Alltag zurückkehrten. Martin:



„Ich nehme einen riesigen Rucksack neuer Erfahrungen mit nach Hause. Ich habe hier sehr viele neue Leute kennen gelernt. Ich habe auch gelernt, einfach mal still zu sein und nicht immer nur Stress, Stress, Stress zu machen wie in meinem Alltag. Und ich gehe auch ein bisschen gestärkt in meinem Glauben hier heraus. Durch die Lieder und die Gemeinschaft bekommt man einfach das Gefühl: Es muss einen Gott geben.“



Auch die 23-jährige Sarah aus Leipzig fühlt nach dem Taizé-Treffen innerlich gut. Alle Ängste sind zwar nicht verschwunden, aber eines ist der jungen Frau klar geworden:



„Die Angst ist kein Zeitphänomen, sondern steckt in jedem Menschen. Einerseits wird einem suggeriert, dass man Angst haben muss, dass man immer gut sein muss, in der Schule, im Studium, dass man immer unterhaltsam sein muss für andere. Ich habe den Eindruck, dass man viele Erwartungen erfüllen muss, von Eltern, Freunden, Lehrern… Hier ist mir klar geworden, dass man seine Entscheidungen nicht auf Angst aufbauen muss. Damit sind allgemeine Entscheidungen und die Entscheidung gemeint, was man mit seinem Leben anfangen will.“



Das nächste Taizé-Treffen wird um den Jahreswechsel 2010-2011 in Rotterdam stattfinden. Sarah, Martin und Dominikus sind wieder mit von der Partie – zumindest das wissen sie ganz sicher.



(rv/domradio 04.01.10 pr)








All the contents on this site are copyrighted ©.