Der Heilige Stuhl
begrüßt die historische Wende in Ägypten und sieht den Moment für die Christen gekommen,
ihren Beitrag zu einem friedlichen Zusammenleben im Land zu leisten. Das sagte im
Gespräch mit uns Kardinal Leonardo Sandri, der Präfekt der vatikanischen Kongregation
für die Orientalischen Kirchen. Vor einer Woche schon hatte Papst Benedikt den Wunsch
geäußert, die Ägypter mögen Seite an Seite Sorge für das Gemeinwohl tragen und so
zu friedlichen Formen der Koexistenz finden. Das, sagt Kardinal Sandri, war eine Einladung
an alle Ägypter, speziell aber auch an die katholischen Kopten.
„Unter
unseren katholischen Kopten gibt es eine Menge Laien, die ihre Kompetenz hier einbringen
können. Der Begriff des Gemeinwohls ist, wie ich meine, einer, den man mit anderen
Religionen teilen kann. Er besagt, dass die Politik sich ausrichten muss am Wohl der
Gemeinschaft, etwa in Fragen der Bildung, der Gesundheitsversorgung, des sozialen
Wohnbaus; alle sollen Zugang zu einem würdigen Gehalt und die Möglichkeit haben, eine
Familie zu gründen und sie zu ernähren. Das sind die Anliegen der christlichen Soziallehre.
Diesen Schatz kann man jetzt im öffentlichen Leben Ägyptens anbieten – gerade auch
unseren Brüdern im Islam. Mit ihnen können wir zusammenarbeiten, um konkret eine menschenwürdige
Gesellschaft zu schaffen, die gerechter ist und allen die Möglichkeit gibt, sich am
öffentlichen Leben zu beteiligen.“
Bisher konnte von Gleichberechtigung
zwischen Moslems und Christen in Ägypten freilich wenig die Rede sein. Kopten waren
in den höchsten Rängen von Politik und Gesellschaft kaum geduldet. Zaghafte Hoffnungen
setzen Ägyptens Christen nun in eine noch zu erarbeitende neue Verfassung, die ihnen
Gleichberechtigung garantieren soll. Kardinal Sandri:
„Ich wünsche mir,
dass die Stimme der Christen gehört wird und dass jene grundlegenden Prinzipien in
die Verfassung aufgenommen werden, die die Würde des Mannes und der Frau betreffen,
die Freiheit jedes einzelnen im zivilen Zusammenleben, im Respekt der anderen und
im Respekt der Gesetze.“
Manche Beobachter fürchten, dass Ägypten nun,
was die Christen betrifft, zu einem zweiten Irak werden könnte. Also: relative Stabilität
unter einem Diktator und – nach der Wende – Verfolgung und Exodus der Christen. Die
Chaldäer in Irak haben sich seit dem Sturz Saddam Husseins auf ein Drittel reduziert.
„Es ist nicht mehr dasselbe Land ohne die Christen, das sagen sogar die Moslems“,
erzählt Kardinal Sandri. So etwas dürfe sich in Ägypten nicht wiederholen.
„Ich
setze auf die Klugheit der Ägypter. Die haben sie unter Beweis gestellt in den überwiegend
friedlichen Kundgebungen, in denen sie ihren Wunsch nach Änderungen bekundeten. Dieses
Zeichen der Änderung erhellt, so hoffe ich, den Weg, der zu einem großen Ägypten führen
wird. Denn wie die Geschichte dieses Landes beweist, ist es dazu berufen, eine große
Nation zu sein: in Afrika, in der Welt, und auch in der Beziehung mit den Nachbarn.“
Sandri ist optimistisch, dass Ägypten sogar zum Vorbild für andere mehrheitlich
muslimische Länder werden kann, was den Umgang mit christlichen Minderheiten betrifft.
„Die Geschichte, die Umsicht und die Bildung der ägyptischen Gesellschaft könnten
vielleicht tatsächlich eine Hoffnung in dieser Hinsicht bieten“, so der päpstliche
Verantwortliche für die Katholiken der Ostkirchen. Zunächst hofft er, dass der Umschwung
am Nil die zunehmende Fanatisierung der ägyptischen Gesellschaft stoppt, die sich
in den vergangenen Jahren in immer mehr Terrorattacken auf Christen niederschlug.
„Ich denke, die Autoritäten, die in dieser Übergangsphase die Nation leiten
werden, und auch die zukünftigen, werden besonderes Augenmerk legen auf den Schutz
der Christen. Nicht, weil sie privilegiert wären, sondern im Gegenteil weil sie ägyptische
Bürger wie alle anderen sind.“ (rv 14.02.2011 gs)