Deutschland: Kreuz und Thora in mystischer Deutung
Ein Stuttgarter Theologe
ist aktuell ein gefragter Referent im Rahmen des christlich-jüdischen Dialogs. „Kreuz
und Thora in mystischer Deutung“ ist der Titel des neuen Buches von Klaus Hälbig.
Michael Hermann hat mit dem Theologen gesprochen:
Aus Genesis Kapitel 2: „Dann
legte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten an und setzte dorthin den Menschen,
den er geformt hatte. Gott, der Herr, ließ aus dem Ackerboden allerlei Bäume wachsen,
verlockend anzusehen und mit köstlichen Früchten, in der Mitte des Gartens aber den
Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis von Gut und Böse.“
Der Baum
der Erkenntnis und der Baum des Lebens – zwei Bäume, deren mystische Bedeutung immer
noch etwas unklar ist. „The tree of life“ ist dabei ein häufiges Thema in Literatur
und Kunst. Gerade aktuell gibt der Baum des Lebens einem beim Festival in Cannes viel
beachteten Film von Terence Malick den Namen. Das werk geht der Quelle und der Essenz
des menschlichen Daseins in Bildern einer Kindheit der 1950er Jahren nach.
Klaus
Hälbig, im Hauptberuf Theologe in der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, ist
fasziniert von der Symbolik der beiden Bäume, hat sich intensiv mit ihnen beschäftigt
und seine Erkenntnisse nun in Buchform veröffentlicht. Schon früh habe man den Baum
des Lebens mit dem aus Holz gefertigten Kreuz in Verbindung gebracht, sagt Hälbig:
„Von
daher hat man dann im Mittelalter Darstellungen des Baumes des Lebens mit einem Kreuz
oder einem Kruzifix darin, das zugleich die Frucht des Baumes des Lebens mit der Eucharistie
identifiziert, was eine Frucht des Kreuzbaumes ist. Die Eucharistie ist das Essen,
welches das Sündenfall-Essen vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse wieder umkehrt
und rückgängig macht. Und dieses Sündenfall-Essen hängt mit dem Baum des Lebens zusammen.
Also beide Bäume stehen in der Mitte des Gartens, bilden einen Gegensatz, und die
Gegensätzlichkeit ist hoch interessant und als ganzes Heilsgeschehen zu verstehen.“
Auf
knapp 400 Seiten analysiert Hälbig die Symbolik des Baumes des Lebens. Und dabei kommt
er zu überraschenden Ergebnissen. Der Baum des Lebens sowie das Kreuz einerseits und
die jüdische Thora andererseits seien letztlich identisch. Die Thora ist die hebräische
Bibel. Geschrieben in Buchstaben ohne Vokale, umfasst sie die fünf Bücher Mose. Der
auf Tierhaut geschriebene Text ist auf zwei Stäben aufgewickelt. Und diese werden
von den Juden als „Baum des Lebens“ bezeichnet.
„Normalerweise wird gesagt,
Kreuz und Thora sind Gegensätze. Die passen überhaupt nicht zusammen. Es gibt eine
Darstellung von Edith Stein in Rom in Sankt Peter, wo gezeigt wird, wie Edith Stein
sowohl das Kreuz als auch die Thora umfängt und beides sehr wohl zusammengehört, jedenfalls
aus ihrer subjektiven Perspektive. Aber ich wollte zeigen, dass sie auch objektiv
zusammengehören, weil ja das Kreuz die Realisierung des Heilsplanes Gottes ist, das
heißt die Realisierung seines Willens, wie er in der Thora offenbart ist. Das heißt:
Kreuz und Thora als Offenbarung des Willens Gottes können sich nicht widersprechen,
sondern müssen im letzten identisch sein. Und das habe ich versucht zu zeigen.“
Hälbigs
Buch mit dem Titel „Kreuz und Thora in mystischer Deutung“ wird gerade in christlich-jüdischen
Gesellschaften intensiv besprochen.
„Ich glaube, dass es ist für den christlich-jüdisch
Dialog wichtig wäre zu erkennen, dass man das Kreuz ganz anders verstehen kann als
es üblicher Weise der Fall ist, nämlich als Leidensinstrument, als Marterwerkzeug
und dergleichen, sondern dass das Kreuz eine ganz andere Bedeutung hat von der Symbolik
her, wenn es vom Baum des Lebens her verstanden wird, zumal die Thora selbst auch
im Judentum als Baum des Lebens verstanden wird. Dann ergibt sich ja von vornherein
schon mal eine große Nähe und Affinität.“