Wie denkt,
wie redet der neue Papst Franziskus? Das versuchen wir hier herauszufinden: im Hinhören
auf Interview-, Predigt- und Debatten-Auszüge. Kardinal Jorge Mario Bergoglio, der
heutige Papst, spricht über die Lage der Kirche, die Armut in der Welt, über Pinocchio,
Kosmetik oder Kapitalismus. All diese Äußerungen Bergoglios hören Sie hier zum ersten
Mal auf deutsch. Quellen sind das Erzbistum Buenos Aires, ewtn-tv und ein argentinischer
Fernsehsender. Übersetzt und zusammengestellt wurden die Zitate von Stefan Kempis.
Das
„Jahr des Glaubens“ und die Lage der Kirche
„Das Jahr des Glaubens
ist sicher eine Inspiration des Heiligen Geistes. Denn auch Paul VI. hatte einmal
ein Jahr des Glaubens in einer sehr tumultarischen Epoche ausgerufen. Paul VI. sagte
damals diesen Satz: Der Rauch des Satans ist in die Kirche eingedrungen. Eine sehr
schwierige Epoche also, und in diesem damaligen Jahr des Glaubens verfasste er dieses
sehr schöne Credo des Volkes Gottes. Ich glaube, dass die heutigen Zeiten nicht ruhiger
sind als damals. Es gibt auch noch eine zweite Piste, der wir folgen können: Papst
Benedikt XVI. sprach oft von Relativismus, Narzissmus, Konsumismus – also von Haltungen,
die im wesentlichen Götzendienst sind. Haltungen, die weit entfernt sind von der Anbetung
des wahren Gottes. In der heutigen Gesellschaft installieren sich ständig neue Götzen,
vor allem des Konsums, und die Leute rennen ihnen hinterher. Es gibt also wirklich
eine große Notwendigkeit, den Glauben zu erneuern: das Credo mit dem Herzen zu beten.
Papst Benedikt sagte uns damit im Prinzip das, was Paulus dem Timotheus schrieb: Erinnere
dich an Jesus Christus! Den Glauben zu erneuern, ihn wiederzubeleben - die Antwort
auf all diese herrschenden Idolatrien gibt uns nur Jesus, und zwar vom Kreuz aus,
dem Ort, von dem er regiert. Wenn wir das Kreuz verneinen, verneinen wir Jesus.“
Maskottchen,
Kosmetik und sterbende Kinder
„Es gibt etwas Interessantes an diesem
Heidentum. Einem agnostischen Heidentum, das sagt: Doch doch, ich glaube an Gott,
aber er ist eine Art Spray, das sich in der Luft auflöst – das ist fast ein Pantheismus.
Aber das Interessante ist die Statistik, für welche nicht-notwendigen Dinge die Leute
ihr Geld ausgeben, auf Weltebene. Hier geht es nicht um Ausgaben für Nahrung oder
Medizin, das lassen wir beiseite – sondern um nicht-nötige Ausgaben, für Überflüssiges.
An erster Stelle stehen da: Maskottchen. Man gibt sein überzähliges Geld vor allem
für Maskottchen aus! Das ist Götzendienst: Da wird ein Maskottchen gekauft oder gemietet,
das ich liebe und überall mit mir führe – ohne die Freiheit der Antwort. Das ist eine
Karikatur der Liebe. Und an zweiter Stelle stehen: Kosmetikartikel. Auf Weltebene
– ich erinnere mich nicht an die genaue Zahl – sind es Tausende von Millionen, die
für solche Sachen ausgegeben werden, während gleichzeitig Kinder an Hunger sterben
in Afrika, Asien, Amerika. Ich bin ja einverstanden, dass jemand sich ein Maskottchen
kauft – aber danach bitte etwas, damit diese Kinder überleben! Die Schönheit des Geistes
und des Herzens hat nichts zu tun mit der künstlichen, kosmetischen Schönheit. Wir
verkleiden uns als Schönheiten, wenn wir nicht die Schönheit Gottes haben.“
Jesus
und Pinocchio – aus einer Kinderpredigt
„Wir haben gerade zusammen
gesungen: Dein Wort erneuert mein Herz. Wie ging das noch? – Ich höre nichts. - Dein
Wort erneuert mein Herz. Und da denken wir an Pinocchio, was hatte der denn für ein
Herz? – Aus Holz, stimmt! Konnte er damit fühlen? – Nein. – Doch, er konnte üble Sachen
fühlen, Quatsch machen und Kindern wehtun, der hat ihnen Kaugummi in die Haare geklebt
oder ihnen ein Beinchen gestellt. Ist das ein gutes Herz? – Nein. – Das ist ein hartes
Herz! Darum musste man es auswechseln. Darum haben sie ihn in den Zirkus gebracht.
Was meint ihr, konnten die Zauberer dort das Herz auswechseln? – Nein. – Kann ein
Zauberer überhaupt ein Herz auswechseln? – Nein! – Wer ist der einzige, der das kann?
– Jesus. – Ich höre nichts. – Jesus! – Also, Jesus kann uns ein neues Herz geben?
– Ja! – Jedem von euch, mir, und den Priestern hier? – Ja! – Und darum sind wir heute
hier: damit er uns ein neues Herz gibt und wir das Gute tun können.“
Glaube,
Hoffnung, Liebe
„Niemand kann sie kaufen oder sich mit Gewalt verschaffen:
Sie sind reine Geschenke Gottes. Hier fällt mir der Midrasch eines Rabbiners aus dem
12. oder 13. Jahrhundert ein, also ungefähr aus der Zeit des heiligen Thomas von Aquin.
Er sprach vom Turmbau von Babel und betonte: Die Menschen hatten eigentlich alles
richtig gemacht, als sie anfingen zu bauen. Aber sie endeten schlecht – wo war also
der Punkt, wo die Sache ins Üble kippte? Um den Turm zu bauen, brauchten die Menschen
Steine, und die mussten erstmal mühsam produziert und gebrannt werden, die waren viel
wert, die waren das Ergebnis einer sehr großen Anstrengung. Und wenn also beim Bauen
und Bauen ein Stein herunterfiel und zerbrach, dann war das eine Tragödie, weil man
damit viel von seiner Investition verlor. Wenn ein Arbeiter dagegen hinunterfiel und
starb, dann war das nicht ganz so schlimm, er konnte ja durch einen anderen Sklaven
ersetzt werden. Wenn wir versuchen, uns mit eigenen Kräften zu Glauben, Hoffnung,
Liebe aufzubauen, aber nicht diese Gabe annehmen, die uns gegeben wird, dann werten
wir das Bild Gottes herab, das der Mensch ist. Der Mensch, geschaffen als Bild und
Gleichnis Gottes. Wie Paulus sagt: Wichtiger als Glaube und Hoffnung ist die Liebe:
die völlige Ausprägung dessen, was als Taufgnade in uns hineingelegt wird. Und darum
bleibt sie.“
Die Kirche in Lateinamerika
„Unsere Völker
haben offensichtlich eine große Ressource: eine kulturelle und eine spirituelle Ressource.
Wir sehen diese Ressource unter anderem an Bildern, die es in ganz Lateinamerika gibt,
Bildern Unserer Lieben Frau, der Mutter, die uns Jesus zeigt und die der Kirche eine
Atmosphäre der Wärme und des Zuhause gibt; und Bildern Jesu, vor allem des Gekreuzigten,
des Herrn der Geduld. Diese beiden Figuren gehören im Tiefsten zu unseren Völkern,
ganz abgesehen noch von der Heiligenverehrung. Die Ressource besteht in diesem Bezug
auf Gott, der Fleisch geworden ist und für uns gelitten hat. Das sind diese beiden
Figuren: Der Sohn, der für uns stirbt, um uns das Leben zu geben, und Maria, die die
Mutter aller ist. Diese Bezüge sind eine Ressource unserer Völker. Sie lässt sie vorwärts
gehen und ist die Quelle von Haltungen wie Solidarität und Mitgefühl… Es ist von Studien
und Wissenschaftlern noch nicht genug wahrgenommen worden, wie diese ganze Kultur
das soziale Leben formt. Natürlich bleibt die Entwicklung nicht stehen, aber ich glaube,
diese Volksfrömmigkeit im guten Sinn des Wortes, von der Paul VI. in „Evangelium Nuntiandi“
oder die Kirchenkonferenz von Aparecida in ihrem Schlussdokument spricht, hat immer
noch starke Wurzeln und ist noch sehr ausgeprägt. Ich vertraue darauf, dass diese
Frömmigkeitspraktiken, dieser Gehorsam gegenüber Christus, gestorben für uns, und
diese Verehrung der Mutter uns retten können vor dieser Strömung des Relativismus,
dem zufolge alles egal ist.“
Innerer Frieden
„Ein glücklicher
Mensch hat diesen inneren Frieden, den ihm keiner nehmen kann. Auch wenn an der Oberfläche
der Wind die Wasser aufwühlen mag – Probleme in der Familie, Krankheiten, schwierige
Momente: Der glückliche Mensch, der das Glück auf eine biblische Weise versteht, hat
einen inneren Frieden, den er von Gott zum Geschenk bekommen hat. Er ist sozusagen
befriedet worden und kann auch anderen den Frieden bringen. Darum sagt Jesus in den
Seligpreisungen: Selig, die Frieden stiften – das heißt, die aktiv Platz schaffen
für den Frieden! Ein Arzt, der für alte Menschen arbeitete, hat mir mal gesagt: Einige
haben einen so reinen, transparenten Blick, auch wenn sie sich vom Leben verabschieden.“
Petrus
und die ansteckenden Wunder im Alltag – aus einer Kinderpredigt
„Der
hl. Petrus hatte ein Herz so hart wie Stein. Er war egoistisch, dachte nur an sich
selbst. Als er sah, dass es brenzlig wurde, rannte er weg und verriet Jesus! Und wer
hat dem Petrus das Herz erneuert? – Jesus hat ihm das Herz erneuert, und mit diesem
neuen Herzen tat Petrus ein Wunder: Er ließ einen Gelähmten gehen. Der saß an einer
Tür und bettelte, und Petrus sagte ihm: Geld hab` ich nicht, aber ich geb` dir, was
ich hab`. Im Namen Jesu, steh auf und geh! Und der rannte davon, voller Freude. Denn
wenn uns Jesus das Herz erneuert, dann gibt er uns die Kraft, dass unsere Wunder ansteckend
werden. Das große Wunder ist, dass er unser Herz erneuert. Und wir können auch Wunder
tun! Aber können wir das allein? – Können wir durch Zaubereitricks Wunder tun? – Mit
wem können wir denn Wunder tun? – Dann sagen wir doch mal laut: Jesus, mit dir können
wir das! – Dann können wir Wunder im Alltag tun: jemanden, der traurig ist, zum Lachen
bringen, das ist ein Wunder! Einen alten Opa besuchen, der allein ist. Einem Hungrigen
etwas zu essen geben. Hinter jedem Wunder steckt: Liebe. Können wir solche Liebe alleine
aufbringen? – Wir brauchen Hilfe – vielleicht einen Zauberer? – Wer hilft uns also?
Mit Jesus haben wir die Kraft, das Herz der anderen zu erneuern, ansteckend zu werden
mit dem Wunder, das Jesus gewirkt hat, als er unser Herz erneuerte.“
Reichtum
und Kapitalismus
„Reichtum lässt einen rosten, Geld löst sich auf.
Glück ist nicht zu haben mit einem wilden Kapitalismus, der einen dazu drängt, immer
weiter Geld aufzuhäufen, aufzuhäufen, aufzuhäufen. Wozu denn? Das macht nicht glücklich!
Anders verhält es sich dagegen mit einer würdigen Arbeit, die mich innerlich wachsen
lässt.“
Eine Frage, die der neue Papst gerne jedem Katholiken stellen
würde
„Ich würde Folgendes fragen: Wie betest du? (Manche werden antworten:)
Padre, ich bitte Gott, bzw.: Ich danke Gott, oder Jesus… Dann würde ich zurückfragen:
Sonst nichts? Nur bitten, nur danken? Lobpreist du ihn denn nicht? Man muss Gott lobpreisen,
weil er so groß ist! So wie wir das in der Messe machen, beim Sanctus. Tust du das
denn auch in deinem Herzen, wenn du dich in Gottes Anwesenheit hineinstellst? Betest
du Gott an? Wirfst du dich vor ihm nieder und betest ihn an, weil er der einzige Gott
ist? Um deinen Glauben zu stärken, reicht es nicht, ständig mit neuen Bitten angelaufen
zu kommen. Das ist etwas typisch Katholisches. Darüber hinaus und über das Danken
hinaus muss dein Beten auch lobpreisend sein und eine Anbetung Gottes!“