Russland: Kyrill sieht Staat-Kirchen-Verhältnis im Lot
Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. pocht auf die Unabhängigkeit seiner Kirche
vom Staat. Das Gerede von einer „Klerikalisierung“ der Gesellschaft und einer „Verstaatlichung
der Kirche“ habe nichts mit der Wirklichkeit zu tun, sagte er in einem am 24. November
veröffentlichten Zeitungsinterview. „Das ist ein Mythos, der durch keine einzige Tatsache
gestützt wird.“ Die weltliche Macht liege nicht in den Händen von Geistlichen. Diese
dürften nicht für politische Ämter kandidieren. Auf der anderen Seite habe der Staat
keinen direkten Einfluss auf die Kirche, so das Kirchenoberhaupt. Die Kirche könne
heute in den Gottesdiensten und in ihren Medien sowie im Dialog mit der Gesellschaft
und dem Staat „völlig frei agieren“.
Diese Freiheit werde die Kirche verteidigen,
weil mit ihr die geistliche Autorität zusammenhänge. „Wir wollen nicht die Wiederholung
der Geschichte, weil wir überzeugt sind, dass die blutigen Entwicklungen zu Beginn
des 20. Jahrhunderts und die anschließende Verfolgung der Kirche größtenteils das
Ergebnis ihrer Versklavung durch den Staat waren“, betonte Kyrill I. Er verwies darauf,
dass die Kirche im 18. und 19. Jahrhundert dem Zaren unterstand. Die heutigen Beziehungen
zwischen der russisch-orthodoxen Kirche und dem russischen Staat bezeichnete der Patriarch
als „partnerschaftlich“. Zum gegenseitigen Vorteil arbeiteten beide Seiten in einer
Reihe von Fragen zusammen.
Am 4. November hatte Kyrill I. Kremlchef Wladimir
Putin für seinen politischen Kurs eine hohe Auszeichnung verliehen. Putin erhielt
den ersten Preis der vom Patriarchen geleiteten Organisation „Russisches Volkskonzil“.
Zur Begründung sagte das Kirchenoberhaupt, der Staatspräsident habe Ende des 20. Jahrhunderts
„wie kein anderer“ Russland wieder einen „würdigen Platz in der Weltgemeinschaft“
verschafft, den es bis heute innehabe. Besonders würdigte er Putins „friedensstiftende
Maßnahmen“ im Bürgerkriegsland Syrien.