In Berlin ist an diesem Dienstag die vatikanische Dialoginitiative "Vorhof der Völker"
eröffnet worden, die das Gespräch zwischen Gläubigen und Nicht-Glaubenden fördert.
Motto des Berliner Treffens ist "Freiheitserfahrungen mit und ohne Gott". Kardinal
Gianfranco Ravasi ging in seinem Grußwort im Berliner Rathaus auf die Gefahr der Gleichgültigkeit,
der Oberflächlichkeit und des Sarkasmus in der Gesellschaft ein. Es handele sich dabei
um soziologische Phänomene, die der Religion wie auch dem Atheismus schadeten. Hier
könne ein Dialog zu Unterscheidungsvermögen und Verständigung beitragen, so der Präsident
des Päpstlichen Kulturrates.
In Berlin ist Radio Vatikan-Korrespondent
Stefan Kempis. Er fasst erste Eindrücke von der Dialoginitiative zusammen:
Die DDR baute in den
sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts nicht nur die Berliner Mauer, sondern auch
den Berliner Fernsehturm. Dieser Turm, und nicht die Mauer, sollte eigentlich mit
seinen 368 Metern Höhe das Symbol des kommunistischen Deutschland sein. Pech nur,
dass die Fenster der dicken Kugel oben auf dem Turm bei Sonnenlicht ein riesiges Kreuz
widerspiegelten und in den Himmel über Berlin zeichneten. Dass passte den kommunistischen
Herren in Ostberlin nicht, sie ließen die Fenster extra beschichten, und das Kreuz
verschwand. Staatsatheismus verpflichtet. Der 3. Oktober – der Tag, an dem der Fernsehturm
auf dem Ostberliner Alexanderplatz 1969 feierlich eingeweiht wurde – ist mittlerweile
übrigens der Tag der deutschen Einheit.
Just im Schatten dieses Turms nun startet
an diesem Dienstag der „Vorhof der Völker“: die Initiative des Vatikans zum Gespräch
mit den Nichtglaubenden. Vor ein paar Jahren in Gang gebracht von einem deutschen
Papst, gastiert sie nun erstmals in Berlin, symbolträchtig im Herzen der säkularen
Hauptstadt. Zur Auftaktveranstaltung stellt der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit
das Rote Rathaus zur Verfügung. Auf solche Gastfreundschaft ist der „Vorhof“ angewiesen,
denn große Räume des Katholischen gibt es in Berlin nicht: Dom und Kirchen, das schon,
und auch eine Katholische Akademie, aber eben keine Katholisch-Theologische Fakultät,
wie sie sich Kardinal Rainer Maria Woelki von Berlin eigentlich wünscht. Der „Vorhof
der Völker“ zieht darum von Dienstag bis Donnerstag vom Roten Rathaus ins Deutsche
Theater, vom Bode-Museum in die Charité – ein Versuch, vor allem Wissenschaftler und
Künstler in der Stadt anzusprechen und sie auf Augenhöhe in ein Gespräch über Glauben
und Unglauben zu ziehen.
„Freiheitserfahrungen mit und ohne Gott“ heißt das
Motto der Veranstaltungen, das soll an den „genius loci“ appellieren – nicht nur wegen
der Erfahrung der Unfreiheit in den Jahren der Mauer, es rührt auch an die großen
Fragen, die der Berliner Idealismus im 19. Jahrhundert von hier aus aufwarf, Fichte,
Schleiermacher, Schelling, Hegel. Erzbischof Robert Zollitsch, der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, bringt es so auf den Punkt: „Ist der Glaube an Gott eine
Minderung oder Bedrohung der Freiheit? Oder ist er erst deren Ermöglichung?“
75
Prozent der Ostdeutschen sind nicht getauft, der Glaube kommt im Leben der meisten
Menschen in der früheren DDR praktisch gar nicht vor – das ist die Herausforderung
für Kardinal Gianfranco Ravasi, den umtriebigen Präsidenten des Päpstlichen Kulturrats,
der jetzt in Berlin zum Gespräch bittet. Eine Art „Fest der Begegnung zwischen Glaubenden
und Nichtglaubenden“ hat Ravasi diesmal nicht ins Programm genommen; 2011 in Paris
war das noch anders, da hatte es zum Abschluss des ersten „Vorhofs“ eine Abend-Veranstaltung
auf dem Vorplatz der Kathedrale Notre-Dame gegeben, in Zelten und an Biertischen konnten
sich Nichtglaubende mit Glaubenden austauschen, und per Videobotschaft lud der damalige
Papst Benedikt sie ein, doch auch einmal in die Basilika hineinzugehen.
Der
Berliner „Vorhof“ hingegen bleibt drinnen; noch nicht einmal ein Fototermin am Brandenburger
Tor ist geplant. Passanten, die am Alexanderplatz über den Weihnachtsmarkt flanieren,
bekommen von den Reden und Debatten im Roten Rathaus nichts mit. Viel wird also davon
abhängen, inwiefern die Themen und Anliegen dieser Veranstaltungen über die Medien
nach draußen dringen.
Eine weitere Frage, die sich jetzt noch nicht beantworten
lässt, ist die nach der Nachhaltigkeit der Gespräche, nach dem Weiterdreh. „Uns sind
die Ungläubigen nahe, die nachdenken“, hat Kardinal Ravasi vor ein paar Tagen in einem
Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ gesagt. Für ihn ist es schon ein Triumph,
den „Vorhof“ überhaupt einmal in Berlin ausrichten zu können, schließlich habe die
Stadt „eine lange Tradition der Ablehnung von Religion“. Als Parallele zum ungläubigen
Berlin fällt ihm als erstes Tirana in Albanien ein, Albanien sei „das einzige Land
der Welt gewesen, in dem der Atheismus in der Verfassung festgeschrieben war“, und
ausgerechnet dort sei er vor zwei Jahren auf unglaublich großes Interesse an Religion
gestoßen.
Nun hofft er, auch in der deutschen Hauptstadt „ein neues Interesse
an den großen religiösen Fragen zu wecken“. Der Kardinal hat Wim Wenders preisgekrönten
Film „Der Himmel über Berlin“ von 1987 gesehen; wie dessen Hauptperson, ein Engel,
bereit ist, „seine Flügel der Unsterblichkeit einzubüßen“, so will sich jetzt Ravasi
auf Berlin einlassen. Immerhin hat die Stadt schon früher mit einem „Dialog der Religionen“
und einer „Langen Nacht der Religionen“ bewiesen, dass sie keine Scheu vor solchen
Initiativen hat.