Sixtinische
Kapelle IV - Michelangelos Jüngstes Gericht
Das Jüngste Gericht steht am Ende einer langen Entwicklung
dieses Themas, das gewöhnlich auf der Eingangswand von Kirchen
dargestellt wurde, um den aus der Kirche Heraustretenden eine letzte
Mahnung mitzuteilen. Dass das Weltgericht in der Sixtinischen Kapelle
in aufrüttelnder Weise auf die Altarwand gemalt wurde, ist
eine Folge des Schocks, den Rom während des so genannten Sacco
di Roma erlitten hat, den Plünderungen der Söldnertruppen
von Karl V. im Jahr 1527. Diese Katastrophe war wie ein Letztes
Gericht über die Stadt hereingebrochen und von vielen Römern
genauso empfunden worden. Das Thema war also weitaus präsenter
als die Aufnahme Mariens in den Himmel, die die Altarwand eigentlich
zierte. Michelangelo durfte also seiner auf der Decke vergegenwärtigten
Geschichte vom Anfang der Menschheit nun ihr Ende gegenüberstellen.
Wie bei der Deckenbemalung ging er dabei auch hier von der architektonischen
Form aus, die unter den Gewölbezwickeln rechts und links zwischen
dem Sockel der Jonasfigur je eine bogenfömige Erweiterung freigeben.
Die insgesamt etwa 200 Quadratmeter große Bildfläche
wird so gleichsam in zwei Spalten aufgeteilt - links wird die Auferstehung
des Fleisches thematisiert; Engelsgestalten helfen den Menschen,
aus der Erde heraus wieder aufzustehen. Wie in einem Sog werden
diese Menschen emporgehoben, zu einem von Engeln getragenen Kreuz
und den himmlischen Heerscharen. Auf der rechten Seite findet die
Gegenbewegung statt. Abstürzend und gedrückt können
die Menschen nicht verhindern, dass sie der Tiefe und den dort lauernden
Teufeln entgegenstreben. In der Mitte des Riesenfreskos ist eine
absolut beherrschende Christusgestalt. Mit einer entschiedenen Bewegung
seiner Arme scheint es, dass dieser Weltenherrscher die Sogwirkung
zum Himmel herauf bzw. in die Hölle hinunter hervorruft oder
zumindest unterstützt. In Michelangelos Darstellung des Weltenrichtes
erkennt man die Bewegung des Laokoon wieder. Nur die Bewegung der
Beine erscheint seitenverkehrt gegenüber denen der berühmten
Skulpturengruppe, bei deren Entdeckung am 30. Januar 1506 Michelangelo
zugegen war. Alle Figuren des riesigen Freskos stehen überraschend
plastisch, wie Skulpturen, vor einem lapisblauen Hintergrund. 390
sind es an der Zahl, einige von ihnen messen über zwei Meter.
Das
Bild war von Papst Clemens VII. in Auftrag gegeben worden. Dem Papst
also, der sich während des Sacco di Roma nur mit Mühe
in die Engelsburg retten konnte und den die Söldnertruppen
so gerne gezwungen hätten, ein Konzil einzuberufen, um die
Trennung der Christenheit seit dem Wittenberger Thesenanschlag zu
überwinden. Papst Clemens VII. zögerte genauso, wie Karl
V. sich weigerte, ihn zu einem derartigen Schritt zu zwingen. Allerdings
starb der Papst, bevor Michelangelo mit der Umsetzung seines Auftrages
anfangen konnte. Der Nachfolgerpapst, Paul III., bestätigte
den Auftrag für das Jüngste Gericht und begann außerdem
sehr bald mit den Vorbereitungen für das Konzil von Trient.
Die Themen, die dort behandelt werden sollten, klingen in Michelangelos
Darstellung vom Weltenende bereits an. Beispielsweise die Frage
der Rechtfertigung. Michelangelo war überzeugt, dass neben
der Gnade Gottes auch die Verdienstlichkeit des Menschen zu seiner
Rettung beiträgt. Deshalb stellte er die Märtyrer alle
mit ihren Marterwerkzeugen dar. Etwa Bartholomäus mit der abgezogenen
Haut, der Michelangelo seine eigenen Gesichtszüge verleiht.
Oder Laurentius mit dem Rost, Katharina mit dem Rad und Sebastian
mit dem Pfeil. Aber auch andere auf dem Konzil behandelte Themen,
wie etwa die Verehrung Mariens werden hier betont. So darf Michelangelos
Maria im Schatten ihres Sohnes ebenfalls in der Gloriole stehen.
Einige Figuren tragen das Porträt bekannter, zeitgenössischer
Personen. Ein Beispiel ist Biagio da Cesena, päpstlicher Zeremonienmeister.
Er war Michelangelo unangenehm aufgefallen, als er sich abwertend
über das noch nicht vollendete Bild des Jüngsten Gerichts
äußerte: Es sei gegen alle Schicklichkeit. Soviel Nacktheit
gehöre - wenn überhaupt - in eine Badestube oder ein Wirtshaus.
Der Kunstkritiker Giorgio Vasari schreibt dazu: "Michelangelo
malte den Zeremonienmeister, sobald er fort war, als Minos in der
Hölle, die Beine von einer großen Schlange umwunden,
umgeben von einer Schar von Teufeln". Allerdings wurden Michelangelos
Figuren im 16. Jahrhundert dann doch so übermalt, dass die
Körperlichkeit in den Hintergrund geriet und die Figuren mehr
den Moralvorstellungen der Zeit entsprachen.
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