Kunst

Sixtinische Kapelle III - Michelangelos Deckenfresko
25 Jahre nach Vollendung des Moses/Jesus-Zyklus wurde Michelangelo mit der Neugestaltung der Decke beauftragt, die bis dahin einen für die Renaissance typischen Sternenhimmel auf blauem Grund gezeigt hatte. In den Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle zeigt der Künstler, daß er vor allem Bildhauer und Architekt ist. Alle Figuren erscheinen ungemein plastisch und die Gliederung des Gewölbes ist rein architektonisch. In das flache Tonnengewölbe der Kapelle schneiden von beiden Seiten je sechs sphärische Dreiecke der Stichkappen über den Fenstern und in den Ecken die vier Gewölbezwickel ein. Diese architektonische Grundeinteilung betonte Michelangelo durch die Gliederung der Decke mit den malerischen Mitteln einer Scheinarchitektur, indem er zwischen die Gewölbezwickel und die Stichkappen steinerne Throne mit Fußkonsolen malte. Darunter sind auf eigenen Tafeln die Namen der fünf heidnischen Sibyllen und der sieben alttestamentarischen Proheten zu lesen, die das Erlösungswerk Christi voraussagten. Die Kopfenden der Kapelle sind Jonas und Zacharias vorbehalten. Im übrigen aber wechseln sich immer eine Sibylle - stellvertretend für die damals als Erdteile angesehenen Persien (Persica), Asien (Erythraea), Afrika (Libica), Italien (Cumaea), Griechenland (Delphica) - und ein Prophet ab. Es sind Jeremias, Ezechiel und Joel auf der rechten Wand, sowie Daniel und Jesaja auf der linken. Die Weissagungen erfolgen nicht nur durch Lektüre in Büchern, welche die ungemein phantasievoll bekleideten und motivisch sowie altersmäßig völlig unterschiedlich erfassten Sibyllen und Propheten in Händen halten, sondern auch durch die Einflüsterung puttenhafter, munterer Engel. Der Einfallsreichtum Michelangelos erscheint unvergleichlich. Bei den vielen hunderten von Figuren seiner Fresken erscheint nicht zweimal das gleiche Motiv.
Die mit Paaren von Putten verzierten Lehnen der Throne bilden den Sockel der Spannbögen, an deren Fuß zu beiden Seiten auf Würfelhockern zwanzig nackte Jünglingsgestalten, die berühmten Ignudi sitzen. Je zwei halten zwischen sich an Gewinden Bronzeschilde, die mit weiteren biblischen Szenen in scheinbar getriebenem Relief geschmückt sind. In den Zwickeln zwischen den Thronlehnen und den Rahmen der Stichkappen unter dem umlaufenden Gesims sind bronzefarbene Unholde als Gegenbilder zu den Ignudi gefangen und treiben in spiegelbildlichen Trotzbewegungen ihr Unwesen. Zwischen den Spannbögen scheint sich die Decke zu öffnen und den Blick auf himmlische Visonen aus der Genesis von der Erschaffung der Erde und des Menschen bis zur Sintflut freizugeben. Die dramatischen Bilder nehmen über den Thronen einen durch die hier eingefügten Bronzeschilde verkleinertes Feld ein und über den Stichkappen breitere.
Diese Bildfelder füllen sich von der Altarwand bis zur Eingangswand mit immer mehr Figuren. Im ersten Bild scheidet Gott Licht und Finsternis. Im zweiten Bild erscheint der Schöpfer zweimal; rechts schafft er im Beisein puttenhafter Engelfiguren Sonne und Mond, und links im Davonfliegen kreiert er die Pflanzen der Erde. Das nächste, kleinere Bild zeigt die Scheidung von Luft und Wasser. Das vierte, wohl berühmteste Bild ist der Schaffung Adams vorbehalten. Rechts schwebt Gottvater von einer Engelschar getragen und von einem weiten Purpurmantel umgeben. In seiner Armbeuge hält er die Idealgestalt Evas, die auf ihren zum Leben erwachenden Gatten blickt. Adam in einer nicht weniger idealen Vollendung liegt mit einem gestreckten und einem an den Leib herangezogen Bein am Boden, erhebt gleichsam schlaftrunken den auf den rechten Ellenbogen gestützten Oberkörper und streckt mit schwerer Bewegung den linken Arm Gottvater entgegen, der durch den Zeigefinger der rechten, Adam entgegen geworfenen Hand, ohne ihn zu berühren, den Kraftstrom des Lebens in den schönen Menschen fließen läßt. In dessen linker Beinmuskulatur scheint sich der noch kopflose erotische Frauenkörper der ersehnten Gefährtin auszudrücken, die im nächsten Bilde aus seinem wieder in Schlaf versenkten Körper durch die Befehlsgebärde des rechts stehenden Gottvaters herausgezogen wird und sofort in eine anbetende Haltung fällt, die in bewusstem Gegensatz zur Indolenz des zum Leben erwachenden Adams steht. Die Dramatik der Bilder Michelangelos beruht oft auf solchen Gegensätzen. Diese sind nicht größer zu denken als bei dem Unterschied zwischen der außerordentlichen Schönheit des Paares von Adam und Eva unmittelbar vor dem Sündenfall, zu dem die Schlange mit weiblichem Oberkörper am Baum der Erkenntnis sie verführt, und ihrer Erbärmlichkeit, als sie von dem herbeifliegenden Engel im roten Gewand mit gezücktem Schwert aus dem Paradies vertrieben werden. Die drei letzten Bilder sind der Gestalt Noahs gewidmet. Das große Bild der Sintflut und der Arche wird gerahmt von den beiden kleineren mit dem Opfer Noahs und mit der Erzählung seiner Trunkenheit und der Verspottung durch die Söhne Sem und Kam, während Japhet die Blöße des Vaters bedeckt.
Das Bild der Sintflut gilt als die größte Bildkomposition Michelangelos. Ein Zug von Verzweifelten, die ihre letzte Habe bei sich tragen, sucht sich vor den steigenden Fluten auf ein Landstück vorn links im Bild zu retten, doch die Tatsache, daß eine jugendliche Figur auf einen Baum klettern will, während eine alte nackte Frau im Vordergrund sich in ihr Schicksal ergibt, zeigt die Vergeblichkeit alles Tuns. Erschütternd ist, wie eine Frau ihr Baby an sich drückt, während ihr älteres Kind sich verzweifelt an ihr Bein klammert. Im Mittelgrund des Bildes sieht man ein überfülltes Boot, aus dem Rettungsuchende roh herausgedrängt werden, im Hintergrund vor dem endlos weiten Horizont schwimmt die Arche, auf deren Rand sich Menschen mit allen Zeichen der Verzweiflung vor dem Ertrinken retten wollen. Am rechten Rand holt einer zu einem furchtbaren Axthieb gegen sie aus, während Noah darüber die Hand hoffnungsvoll ausstreckt, um die Taube fliegen zu lassen, die ihm ein Zweiglein vom wieder trockenen Land bringen soll. Zu den besonders erschütternden Motiven des Bildes zählt, wie ein weißhaariger Vater die Leiche seines ertrunkenen Sohnes aus den Fluten auf eine kleine Insel trägt, wo sich eine Gruppe von Menschen unter einer Zeltplane zusammengefunden hat. Bei dieser Figurengruppe mit Vater und Sohn erkennt man die Orientierung Michelangelos an der antiken Pasquinogruppe. Nur eines von zahlreichen Beispielen, die Michelangelos Studium antiker Skulpturen belegen.

 

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